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Datum: 04.06.2025

Die NS-Vergangenheit eines Limburger Richters

Unter denen, die als Helfer und Helfershelfer des nationalsozialistischen Regimes an Verbrechen beteiligt waren und anschließend in der Bundesrepublik gut unterkamen oder auch Karriere machten, ist die Berufsgruppe der Juristen auffallend häufig anzutreffen. Einer dieser Juristen war Hans Luther, der 1953 in den Dienst der hessischen Justiz übernommen wurde und vom 1. Februar 1954 an bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1969 als Richter am Landgericht Limburg tätig war.

Über Luthers Tätigkeit als erster Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in der besetzten französischen Hafenstadt Bordeaux, der juristischen Aufarbeitung seiner Taten nach dem Krieg sowie seiner späteren Tätigkeit in der Bundesrepublik berichtete im Kulturzentrum der Stadt der ehemalige hessische Innenminister und Landrat des Lahn-Dill-Kreises, Gerhard Bökel. Während seiner juristischen Ausbildung hatte Bökel auch eine Station am Landgericht in Limburg, ohne jedoch Hans Luther kennenzulernen. Allerdings saßen unter den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern ehemalige Richter des Landgerichts oder freiberufliche Juristen, die Hans Luther noch erlebt hatten. Die Lesung 80 Jahre nach Kriegsende war eine Kooperationsveranstaltung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Limburg und des Stadtarchivs.

In seiner Funktion als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes war Luther, der aus Halle an der Saale stammt, an der Erschießung von Geiseln und der Deportation von Juden maßgeblich beteiligt, berichtete Bökel. Der ehemalige Minister lebt im französischen Avignon und sein Buch über „Bordeaux und die Aquitaine im Zweiten Weltkrieg“ mit dem Untertitel „Nazi-Besatzung und Kollaboration, Widerstand der Résistance und bundesdeutsche Nachkriegskarrieren“ ist gerade in einer französischen Übersetzung erschienen.

Luther, vor dem Krieg als Richter in Frankfurt tätig, Eintritt in die NSDAP im Jahr 1937, war laut Bökel „in Bordeaux verantwortlich für die Jagd auf Widerstandskämpfer, die Internierung und Deportation von Juden und für Geiselerschießungen“. Dabei habe er als Vorgesetzter nicht nur die Verantwortung für seine Mitarbeiter, die Juden internierten und deportierten, getragen, sondern auch selbst Deportationen und die Verhaftung von ihm namentlich bekannten Juden angeordnet.

Bökel berichtete davon, dass im September 1942 unter Luthers Kommando in Bordeaux 70 Geiseln erschossen wurden für ein Attentat, das in Paris verübt worden war. Bei der Verfolgung und Internierung von Juden setzte die Besatzungsmacht auf die Unterstützung von französischen Beamten, die unter Druck gesetzt wurden. Danach wies Luther an, wonach jeder französische Beamte „für die auf seiner Liste genannten Juden verantwortlich zu machen und darauf hinzuweisen (ist), dass bei Nachlässigkeit oder gar Begünstigungen gegenüber den zu verhaftenden Juden gegen ihn selbst schärfste Maßnahmen ergriffen werden“.

Bökel vermutet, dass Luther im Oktober 1943 vermutlich auf eigenen Wunsch als Offizier zur Wehrmacht zurückkehrte. Er geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde 1946 an die französischen Behörden überstellt. Ein Militärgericht sprach ihn bei der Anklage der Geiselerschießungen frei, verurteilt wurde er zu fünf Jahren Haft wegen rassistischer Deportationen. Die Haftstrafe war mit seiner Untersuchungshaft verbüßt.

Wie Bökel berichtete, sorgte eine ausgefeilte Verteidigungsstrategie unter der Regie der vom Bundestag beschlossenen „Zentralen Rechtsschutzstelle“ mit ihrem Leiter Dr. Hans Gawlick (ehemaliger Gaurichter) und mit Unterstützung des Marburger Juristen Professor Dr. Erich Schwinge (Experte für Militärstrafrecht im Nationalsozialismus und Kriegsrichter) mit einem „Aussagekartell“ für das milde Urteil, das in der französischen Presse als Skandal bezeichnet und vor allem von der Vereinigung der Widerstandskämpfer kritisiert wurde.

Nach seiner Übernahme in den Dienst der hessischen Justiz verfasste Luther recht zügig seine Dissertation mit dem Titel „Der französische Widerstand gegen die deutsche Besatzung und ihre Bekämpfung“, Doktorvater war wenig überraschend der Marburger Jurist Professor Schwinge. In seiner Dissertation bestritt Luther ein völkerrechtlich bestehendes Widerstandsrecht und behauptete zudem, dass sich keineswegs die Bevölkerung gegen die deutsche Besatzung erhoben habe, sondern es sich um eine „von den Gegnern Deutschlands eingesetzte fünfte Waffe“ gehandelt habe.

Geiseln zu nehmen und nicht straffällig gewordene Menschen zu erschießen, sei keine Straf-, sondern eine Vorbeugemaßnahme gewesen, so eine weitere zentrale Behauptung. Luthers Doktorarbeit wurde vom Institut für Besatzungsfragen in Tübingen, dessen Aufgabe es war, die deutsche Besatzung in einem möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen, als Buch herausgegeben. In seiner Doktorarbeit erwähnt Luther allerdings nicht, dass er als Kommandeur der Sicherheitspolizei die Person ist, deren Handeln er rechtfertigt.

In seiner Begrüßung im Kulturzentrum hatte Johannes Laubach als katholischer Vorsitzender der GCJZ darauf hingewiesen, dass es in Limburg mit dem ehemaligen Oberstaatsanwalt, Landtagsabgeordneten und Landrat Heinz Wolf bereits einen Fall gibt, der lange brauchte, um an das Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Wolf war es zeitlebens gelungen, dass seine Zeit als ehemaliger Ankläger eines NS-Sondergerichts nicht zum Thema wurde.

Ein ehemaliger Richter und Kollege Luthers unter den Anwesenden gab den Hinweis, wonach Luther in seiner Zeit in Limburg nie befördert worden sei und dies möglicherweise auf seine Vergangenheit zurückzuführen sei. Unter den Anwesenden war auch ein Enkel von Hans Luther. Er sprach von den schlimmsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann und die sein Großvater begangen habe. „Das war bei uns zu Hause lange kein Thema“, berichtete er. Erst vor 20 Jahren habe er damit begonnen, sich mit seinem Großvater und dessen Tun in der NS-Zeit zu befassen. Gerade in der heutigen Zeit sei es wichtig, darüber zu reden.

Das Interesse an der Veranstaltung und der Lesung mit Gerhard Bökel war so groß, dass nicht alle, die Interesse hatten, an dem Abend auch teilnehmen konnten, da der Raum nicht mehr Zuhörerinnen und Zuhörer aufnehmen konnte. Die GCJZ und das Stadtarchiv als Veranstaltende bemühen sich um einen zweiten Termin.

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