Als NS-Täter im Dienst der Justiz
Gerhard Bökel liest im Kulturzentrum/Limburger Richter im Blick
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg und damit auch die Greul des nationalsozialistischen Deutschlands, des sogenannten Dritten Reichs. Der Blick zurück in die Geschichte dreht sich oft darum, wie es dazu kommen konnte. Kaum weniger wichtig ist die Frage, wie die junge Bundesrepublik mit Tätern des NS-Regimes umgegangen ist, welche Karrieren möglich waren und durch welche Strukturen sie begünstigt wurden.
Gerhard Bökel, ehemaliger Landrat des benachbarten Lahn-Dill-Kreises und hessischer Innenminister (1994 bis 1999), widmet sich in seinem Buch „Bordeaux und die Aquitaine im Zweiten Weltkrieg“ unter anderem dem Richter Hans Luther, NSDAP-Mitglied seit 1935, der als Gestapo-Kommandeur in Bordeaux und der umgebenden Region (Aquitanien) aktiv war und in der jungen Bundesrepublik als Richter am Landgericht in Limburg wirkte. Bökel ist am Dienstag, 27. Mai, in Limburg zu Gast und stellt im „Kulturzentrum“ (Dombibliothek) sein Buch vor. Die Lesung mit anschließender Aussprache beginnt um 19 Uhr und wird von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Kooperation mit dem Limburger Stadtarchiv veranstaltet.
Gerade Tätern aus dem Bereich der Justiz gelang es oft, nahezu nahtlos ihre berufliche Laufbahn nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches fortzusetzen. Ganz nahtlos war das bei Hans Luther nicht, denn er war aufgrund seiner Tätigkeiten als Kommandeur des Repressionsapparates, der die Massenerschießungen von Geiseln und die Deportationen von Juden und Widerstandskämpfern anordnete, in Frankreich für einige Jahre in Haft. Mit Unterstützung durch den Marburger Juristen Prof. Dr. Erich Schwinge wurde Luther zu einer Haftstrafe verurteilt, die mit seiner Untersuchungshaft schon als verbüßt galt.
Zurück in Deutschland wurde Luther wieder in den Staatsdienst aufgenommen und fungierte als Richter am Landgericht Limburg. In seiner Amtszeit verfasste er sogar seine Dissertation, in der er die Auffassung vertrat, wonach die Partisanen der französischen „Resistance“ keine Widerstandskämpfer gewesen seien, sondern „Terroristen“, da sie nicht uniformiert gewesen seien. Die Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen stellte Luther dabei als rechtmäßig dar, bei den Aktionen gegen Aufständische habe es sich daher um die notwendige „Wiederherstellung des Rechts“ gehandelt. Doktorvater von Luthers Dissertation war der Marburger Professor Dr. Schwinge, der während der NS-Gewaltherrschaft oberster Militärrichter der sogenannten „Ostmark“ war und maßgeblicher Mitverfasser des einzigen juristischen Kommentars zum Wehrstrafrecht war. Nach dem Krieg lehrte Schwinge in Marburg.
Luther ist nicht der einzige NS-Täter, der in Limburg und in der Justiz seine berufliche Laufbahn in der jungen Bundesrepublik fortsetzen konnte. Vor einigen Jahren sorgte die Karriere des ehemaligen Landrats und Limburger Ehrenbürgers Heinz Wolf für Diskussionen und für die posthume Aberkennung der Ehrenbürgerwürde. Wolf war in der NS-Zeit als Anklagevertreter des Sondergerichts in Danzig aktiv, das für zahlreiche Blut- und Gesinnungsurteile verantwortlich war. 1950 trat Wolf in den Dienst der hessischen Justiz bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt ein, wechselte dann nach Limburg und wieder zurück. Von 1962 bis 1966 war Wolf Mitglied des hessischen Landtags und anschließend bis 1975 Landrat des Landkreises Limburg und des zusammengelegten Landkreises Limburg-Weilburg.