Erinnern ist auch eine Aufgabe des Herzens
Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das KZ Auschwitz. Unter den vor 80 Jahren befreiten rund 7000 zu Skeletten abgemagerten und lebenden Leichen gleichenden Häftlingen waren auch Julias Löb aus Staffel und Sidonie Marx, die bis 1933 in Limburg lebte. Unter den Tausenden von Opfern, die in Auschwitz ermordet wurden, waren 43 Frauen, Männer und Kinder, mit Geburtsort Limburg oder die in der Stadt lebten.
„Was mit den Wählerstimmen begann, endete in den Todeslagern von Auschwitz und Treblinka“, verdeutlichte Limburgs Bürgermeister Dr. Marius Hahn am Sonntag, 26. Januar, auf dem jüdischen Friedhof in Limburg. Er erinnerte an den Aufstieg der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik und daran, dass ihnen nicht genug Widerstand geboten und ihr Aufstieg von „günstigen Rahmenbedingungen“ begleitet wurde. Am Sonntag fand auf dem jüdischen Friedhof die Gedenkstunde anlässlich des Holocaust-Gedenktags statt, der seit 1996 am 27. Januar begangen wird.
Elena Kopirovskaja, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Limburg-Weilburg, war es vorbehalten, die Gedenkveranstaltung zu eröffnen. Sie machte deutlich, dass das KZ Auschwitz das Synonym für die Vernichtung der Juden unter den Nationalsozialisten ist. „Nur durch die Erinnerung kann der Versuch gelingen, eine Wiederholung der Ereignisse zu vermeiden“, machte sie deutlich. Die Erinnerung an die Entrechteten, an die Gequälten und Verfolgten und an alle, die die Nationalsozialisten zu ihren Feinden erklärten, um sie zu vernichten, sei die Aufgabe deren, die überlebten oder nach dieser Zeit geboren wurden. „Der jungen Generation muss vermittelt werden, dass Erinnern nicht nur eine Aufgabe des Verstands, sondern auch eine Aufgabe des Herzens ist“, verdeutlichte die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, die in der Zeit eines wiedererstarkenden Antisemitismus der Erinnerung eine besondere Bedeutung beimisst.
Bewegend und bedrückend
Der Bürgermeister erinnerte daran, dass die Deportation und anschließende Vernichtung der Juden nicht mit der Pogromnacht 1938 oder der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann, sondern schon viel früher: „Es begann mit Verunglimpfung, Ausgrenzung, Diskriminierung – auch hier in Limburg. Und dies geschah nicht erst 1933, sondern bereits ab Ende des 1. Weltkriegs 1918.“ Das Erstarken der radikalen Ränder vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums verschob das Sagbare immer weiter, so Hahn weiter. Demokratieverachtung und damit einhergehend auch Menschenverachtung habe dabei zunehmend Nährboden gewonnen.
Hahn zeigte sich erfreut darüber, dass es seit mehr als 25 Jahren wieder jüdisches Leben in der Stadt gibt und seit 16 Jahren auch wieder eine Synagoge. Dass er im vergangenen Jahr die neue Tora-Rolle ein Stück zu Synagoge tragen durfte, sei für ihn ein sehr bewegender und ehrenvoller Moment gewesen. Gleichzeitig aber auch ein bedrückender, denn die Veranstaltung fand unter erheblichen Schutzvorkehrungen statt.
Im Rahmen der Gedenkveranstaltung verlas Rabbiner Alexander Hofmann die Namen der jüdischen Opfer und schloss ein Totengebet an. Das Verlesen der Namen der nichtjüdischen Opfer beschloss Jörg Rücker, Pfarrer im Ruhestand, mit einem christlichen Gebet. Die Anwesenden gedachten dann mit einer Schweigeminute an alle Opfer.
Erinnerung an das Ehepaar Goldschmidt
Etwa 200 Menschen aus Limburg sind nach dem Stand der bisherigen Recherchen Opfer des NS-Regimes geworden. Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker gab ihnen einen Namen, indem er an das Ehepaar Jacobine geborene Simon und Hermann Goldschmidt erinnerte. Das Ehepaar betrieb seit 1901 im Haus Bahnhofstraße 12 eine Filiale der Gebrüder Simon, deren Zentrale für mehrere Textilkaufhäuser sich in Andernach befand. Hermann Goldschmidt war in der jüdischen Gemeinde aktiv und 1933 nahm das kinderlose Ehepaar ihre fünfjährige Nichte Nina Moses auf, deren Mutter in die Niederlande geflohen waren. Unter den Repressalien des Regimes (das Vermögen wurde unter Sicherungsanordnung gestellt) zog das Ehepaar schließlich nach Frankfurt um, die Nichte durfte zu ihrer Mutter in die Niederlande und wurde 1943 mit ihr zusammen in Sobibor ermordet. Das Ehepaar Goldschmidt erhielt Anfang September 1942 die Aufforderung, sich zur Deportation einzufinden. Die schwerkranke Jacobine entzog sich dem durch Suizid, Hermann Goldschmidt wurde am 2. März 1943 in Theresienstadt ermordet. An das Ehepaar und die Nichte erinnern seit 2016 Stolpersteine.