Bilder erinnern an Zerstörung und Verlust
Von den etwa 2800 Synagogen und Betstuben, die es auf dem Gebiet des Deutschen Reiches zu Beginn der 1930er Jahre gab, wurden allein in der Pogromnacht 1938 und den folgenden Tagen über 1400 zerstört. Über 100 von ihnen hat der Künstler Alexander Dettmar gemalt. Eine Auswahl davon ist bis 17. November in den Kunstsammlungen der Stadt Limburg zu sehen. Die Ausstellung trägt den Titel: „Bilder der Erinnerung“.
„Man spürt den Verlust“, fasst André Kramm seine Eindrücke zusammen. Der Vorsitzende des Förderkreises Bildende Kunst Limburg hatte sich schon vor der offiziellen Eröffnung die Bilder der Ausstellung angeschaut. Verlust, denn was Alexander Dettmar gemalt hat und nun in Limburg zeigt, gibt es nicht mehr. Die Synagogen, ob sie in Halberstadt, Memmingen oder anderswo standen, sind zerstört. Sie brannten nieder, die Reste wurden entsorgt. Hier und dort blieben einige Synagogen erhalten, die dann im Laufe ihrer weiteren Geschichte ihre Aufgabe als Raum des Betens und des Zusammenkommens verloren und anderen Nutzungen zugeführt wurden.
„Ich selbst habe wie viele andere die Vernichtung der Juden durch die NS-Zeit nicht erlebt, bin nach dieser Zeit geboren. Doch unsere Aufgabe ist es, an dieses Grauen, an dieses unvergleichliche Verbrechen zu erinnern“, verdeutlichte der Künstler während der Eröffnung der Ausstellung. Mit seinen Bildern erinnert Dettmar an verlorenes architektonisches Erbe in Deutschland und vor allem an die Menschen, die in diesen Synagogen zusammenkamen und in der NS-Zeit ermordet wurden oder flüchten mussten. Die Auswahl der Synagogen, die er gemalt hat, ist dabei eher dem Zufallsprinzip überlassen. Er ist in dieser Stadt, stößt auf Spuren und erforscht dann in Archiven oder Dokumentationen etwas über die verschwundenen Gebäude.
Erinnerung ist notwendig
2020 hat er auch die ehemalige Limburger Synagoge gemalt, die sich an der Schiede befand. „Eine Zierde für das Straßenbild“ war sie, die unter großer Beteiligung der Limburger Bürgerschaft im September 1903 eingeweiht wurde. 35 Jahre später wurde sie am 9. November zerstört, brannte aus, wurde geplündert und schließlich abgerissen. „Erinnerung an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte ist heute wichtiger denn je“, verdeutlichte Bürgermeister Dr. Marius Hahn während seiner Begrüßung zur Ausstellungseröffnung vor dem Bild der Limburger Synagoge.
Wie Dettmar die Synagogen malt, ist ganz unterschiedlich. Manche werden als einzelne Gebäude dargestellt, andere einbettet in die umgebende Bebauung. Für welche Form er sich entscheidet, ist abhängig vom Schaffungsprozess. Ebenso die Frage nach den verwendeten Farben. Manche Darstellungen sind recht dunkel gehalten, andere wiederum in sehr hellen Farben, wie zum Beispiel das Bild von der Limburger Synagoge.
Was nicht zu sehen ist, ist die Zerstörung. Auf Dettmars Bildern sind die Synagogen unversehrt. Kein Feuer, keine Menschen, keine Gewalt. Es sind Bilder vor der Zerstörung. „Wir dürfen bei allem nicht vergessen, dass es auch lange Phasen eines guten Miteinanders in der Geschichte gab“, verdeutlichte Dettmar. Und die Darstellung der unzerstörten Synagogen gibt ihm als Künstler auch die Möglichkeit, sich mit der notwendigen Schaffensfreude, Spannung und Willen der Aufgabe zu stellen, Synagogen zu malen.
Auf der Suche
Dettmar, Jahrgang 1953, ist nach eigenen Angaben als 13-Jähriger zu einem politisch denkenden Menschen geworden. Die Initialzündung, sich mit Synagogen zu beschäftigen, kam für ihn viele Jahre später bei einem Besuch der Kleinstadt Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Dort war er, um Motive für seinen Zyklus „Paradiese des Nordens“ zu finden. Dabei machte ihn ein Pastor auf die ehemalige Synagoge der Stadt aufmerksam. Doch eine Synagoge fand Dettmar nicht mehr, stattdessen einen Parkplatz, der an dem ehemaligen Standort geschaffen worden war. Und einen Hinweis auf die Synagoge gab es auch nicht. Anlass genug für Dettmar, sich auf die Suche nach Zeugnissen und Quellen zu machen … und die Synagoge schließlich zu malen.
Das hat sich inzwischen rund 140 mal wiederholt. Nicht nur an deutschen Standorten, sondern zum Beispiel in Frankreich. Der Maler, der zwischen gegenständlich und abstrakt arbeitet, nutzt seine Freiheit manchmal für kleine Hinweise. So malt er in die umgebende Bebauung schon mal ein Fenster hinein, von dem eine gute Sicht auf die Synagoge möglich ist. „Aus diesem Fenster war zu sehen, was passiert ist mit der Synagoge und den Menschen, die sie aufsuchten“, sagt Dettmar. Erinnern bedeutet, sich nicht nur an die Zerstörung selbst zu erinnern, sondern auch an die Rahmenbedingungen, die sie ermöglicht haben.
Zwei Sonderveranstaltungen
Im Rahmen der Ausstellung finden zwei Sonderveranstaltungen statt. Am Donnerstag, 31. Oktober, informiert Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker um 19 Uhr über „Die Limburger Synagogen vom 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart“. Der Vortrag findet in den Kunstsammlungen der Stadt Limburg, Historisches Rathaus, Fischmarkt 21) statt. Veranstalter ist die Stadt in Kooperation mit dem Zweigverein Limburg-Weilburg im Nassauischen Altertumsverein.
Einen Tag später, am Freitag, 1. November, besteht die Möglichkeit, die ehemalige Synagoge in Schupbach kennenzulernen. Das 1876/77 als Synagoge errichtete Bauwerk hat die NS-Zeit überstanden, allerdings mussten die neuen arischen Eigentümer einige Veränderungen vornehmen, so dass das Bauwerk seinen sakralen Charakter verlor und sich der umgebenden Bebauung anglich.
Für beide Veranstaltungen ist eine Anmeldung unter Tel. (06431) 203-912 oder per E-Mail an kulturamt@stadt.limburg.de notwendig.
Die Ausstellung ist Dienstag und Mittwoch von 8.30 bis 14 Uhr, Donnerstag bis Sonntag von sowie an Feiertagen von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei, die Kunstsammlungen sind nicht barrierefrei.