Kinder erkunden die Welt der Erwachsenen
Kurz vor der Mittagspause. Bürgermeister Tom und Stadtrat Andreas sitzen auf ihrer Dienstbank. Es ist ihr erster Vormittag in den neuen Ämtern. Am Vortag sind sie von allen Mädchen und Jungs der Kinderspielstadt gewählt worden. Tom hat sich dabei gegen zwei Mitbewerber durchsetzen können. Das Ergebnis der Wahl war dann in der Bürgerversammlung verkündet worden, mit dem der Tag in der Kinderspielstadt endet.
„Jeder darf so sein wie er ist“, unter dieses Motto hat Tom seine Amtszeit gestellt. Und dann war er zusammen mit Stadtrat Andreas gleich gefordert, Entscheidungen zu treffen. Es gab den Wunsch nach einem Fußballplatz etwas abseits des Nachbarschaftszentrums. „Das konnten wir nicht genehmigen, zu weit weg. Der Fußballplatz befindet sich nun auf dem Gelände unseres Freizeitparks direkt hier am Zentrum“, sagt Tom.
Zur gleichen Zeit präsentiert Emma im großen Aufenthaltsraum des Zentrums ihren unternehmerischen Wunsch: „Ich eröffne ein Rückenmasierstudio“, verkündet sie. Eine entsprechende Genehmigung hat sie vom Arbeitsamt bereits erhalten, einen Standort für ihr Studio hat sie auch, jetzt muss sie sich noch einen Kredit besorgen, um die Einrichtung bezahlen zu können.
Werkstatt, Bäckerei, Küche
Im Stockwerk tiefer sind Laurin, Emil und Tom am Sägen, Nageln und Messen. Sie bilden zusammen mit Jörn, der als Erwachsener ehrenamtlich als Aufsicht und Anleiter fungiert, das Werkstattteam. Was sie dort bauen, werden sie verkaufen. Für elf Lahntaler gibt es die Kiste mit Klappdeckel in der kleinen Ausfertigung, in groß sind 15 Lahntaler fällig. Mit den Einnahmen werden der Arbeitslohn, fünf Lahntaler pro Stunde, Führungskräfte erhalten sieben Lahntaler, und die Ausgaben für den Materialkauf bestritten.
In der Küche hantieren Hannah und Leo mit Unterstützung von Yvonne mit Mixer, Schneebesen und großen Schüsseln. Was sie an Zutaten zusammenmischen, wird einmal Eis. In der Bäckerei sind Marlin, Greta, Henry und Dylan damit beschäftigt, feines Gebäck mit Nutella herzustellen. Verkauft wird es im großen Speisesaal während der Mittagspause. In einer Schale sammelt sich das Geld, denn pro Stück wird ein Lahntaler verlangt. Der Absatz ist gut, die Bäckerei arbeitet mit Gewinn.
Betreueraufgaben übernehmen
Ganz andere Ziele verfolgt Birgit als ehrenamtliche und erwachsene Betreuerin in der Malstation. Dort sind die Kinder aufgefordert, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Die Art des Malens soll dem Innern Ausdruck verleihen. Luis und Lian stehen mit Pinseln in der Hand vor das Wand mit Papierbögen, die sie bemalen. Die fertigen Werke können dann später in einer Auktion ersteigert worden.
Das Angebot an Betrieben und Arbeitsplätzen ist groß. Es gibt noch den Freizeitpark mit zahlreichen Spielmöglichkeiten, einen Beauty-Salon, natürlich ein Kaufhaus, ein Yogastudio oder ein Tanzstudio. Dort ist auch Emilia aktiv. Sie ist eigentlich schon zu alt für eine Teilnahme an der Kinderspielstadt. Gleichzeitig hat sie jedoch großes Interesse daran, noch einmal dabei zu sein. Das ist möglich, da sie nun schon erste Betreueraufgaben übernimmt.
61 Kinder sind in der Kinderspielstadt an zehn Tagen zwischen 8.30 und 15 Uhr dabei. Die Anzahl derer, die Interesse haben, ist größer. „Wir verlosen unter allen Anmeldungen die Plätze“, sagt Vanessa Kantelberg vom Amt für Familie, Soziales und Integration, die nun zum dritten Mal die Kinderspielstadt organisiert und dabei von Anke Stöver aus dem Betreuerteam unterstützt wird. Das Konzept der Kinderspielstadt ist klar: Die Kinder haben die Möglichkeit, über zwei Wochen ein wenig in die Welt der Erwachsenen einzutauchen.
Lahntaler als Währung
Bewährt hat sich dabei auch der Umgang mit (Spiel)Geld. Als Währung fungiert der Lahntaler. Alle, die arbeiten, erhalten einen festen Stundenlohn; wer als Unternehmerin oder Unternehmer aktiv ist, muss mit dem auskommen, was die Firma erwirtschaftet. In den vergangenen Jahren kam der Lohn quasi noch von allein, diesmal ist das anders. Für Unternehmen gibt es ein Startkapital, dass für drei Tage ausreicht, um Löhne zu zahlen und Material zu erwerben. Für die übrige Zeit muss alles selbst erwirtschaftet werden.
„Ziel ist es, dass die Kinder in der Kinderspielstadt immer mehr Verantwortung übernehmen und dann zum Beispiel auch die Betriebe leiten, in denen sie arbeiten oder neue Betriebe gründen“, berichtet Gunther Weber, der mit seiner Agentur „kopf & herz“ in die betreuende Arbeit eingebunden ist. Und die Kinder würden dann auch richtig kreativ, um für sich neue Möglichkeiten der Arbeit und des Einkommens zu finden.
Den Umgang miteinander üben, auch mal Konflikte ansprechen und aushalten, das ist eine Aufgabe der Bürgerversammlung, mit der jeder Tag in der Kinderspielstadt endet. Die Leitung der Versammlung hat Tom mit seinem Amtsantritt als Bürgermeister übernommen. „Dort soll möglichst all das angesprochen und geklärt werden, was die Kinder nicht in Ordnung finden oder sich auch für den weiteren Verlauf noch wünschen“, erklärt Vanessa Kantelberg, die mit den Vorbereitungen der Kinderspielstadt im Herbst des Vorjahres beginnt.
Ehrenamtliche wichtige Stütze
Ohne die Unterstützung von ehrenamtlichen Kräften ist das Projekt nach ihrer Einschätzung nicht zu stemmen. Zwischen zehn bis 15 Ehrenamtliche haben die drei bisher stattgefundenen Kinderspieltage als Betreuer und Anleiter unterstützt. Sie sind nicht alle durchgehend im Einsatz, sondern kommen auch tageweise. „Es ist jedoch feststellbar, dass das freiwillige Engagement zurückgeht. Dadurch wird es nicht nur schwieriger, der Aufsichtspflicht nachzukommen, es gehen auch viele Impulse durch unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten verloren“, sagt Vanessa Kantelberg.
Dirks Fähigkeiten sind jeden Tag in der Kinderspielstadt gefordert, denn er versorgt alle im Auftrag der Stadt mit Mittagessen. „Hoffentlich schmeckts ihnen, ich bin mir da nicht so sicher“, zeigt er sich bei der Anlieferung etwas skeptisch. Doch seine Befürchtung, der „TexMex-Auflauf“ würde nicht ankommen, ist völlig unangebracht. Zwar wird hier und dort auf einem Teller auch mal eine einzelne Zutat an den Rand gelegt, doch insgesamt schmeckts immer, wenn viele zusammen essen.