Sprungziele
Inhalt

Archivalie der Woche 228 - Gedicht zur Synagogeneinweihung

Vor wenigen Tagen, am 9. November, wurde der Zerstörung der Synagogen in Deutschland vor 85 Jahren gedacht. Auch in Limburg wütete der braune Mob, zerstörte die Synagoge an der Schiede, drang in Wohnungen ein und plünderte Geschäfte. Zahlreiche jüdische Bürger wurden misshandelt und verhaftet.

Vor dem Bau der Synagoge an der Schiede trafen sich die jüdischen Limburger 35 Jahre lang zum Gebet in der Kapelle in der Erbach. Dieses kleine Gotteshaus wurde 1322 bis 1324 errichtet und gehörte zum Limburger Wirtschaftshof des Klosters Eberbach (Rheingau). Zu Anfang des 19. Jahrhunderts säkularisiert war das Gebäude einige Zeit lang Lager für Salz und Mineralwasser. 1831 schenkte der Herzog von Nassau die Kapelle der evangelischen Gemeinde. So war es die erste evangelische Kirche in der Stadt. Mit dem Anwachsen der Gemeinde wurde das Gotteshaus aber zu klein, so dass in der Nähe des Bahnhofs ein Neubau errichtet wurde, die heutige evangelische Kirche. 1866 erfolgte die Einweihung. Der jüdischen Gemeinde bot sich nun die Chance, die Kapelle in der Erbach zu erwerben und dort die Synagoge einzurichten, die sich bis dahin im Haus Löhrgasse 8 befand.

Anlässlich des ersten Gottesdienstes am 15. Mai 1868 erschien am 23. Mai im Kreisgerichtsblatt für den Kreisgerichtsbezirk Limburg ein Gedicht von Georg Link (evangelisch):

Zur Einweihung der Synagoge
Ein Gotteshaus, ein Haus des Herrn zu gründen,
Der längst gehegte Wunsch, er ist erreicht;
O! mögt ihr darin Trost und Ruhe finden,
Wenn das Gebet empor zum Himmel steigt.
Die alte Kirche in dem Christenthume
Erbaute einst zur Andacht dieses Haus.
Hier goß beim Opfer zu den Höchsten Ruhme
Der Priester dieser Kirche Segen aus.
Der neuen Kirche Christi übergeben.
War hier ein and’rer Gottesdienste gelehrt,
Auf and’re Art die Herzen zu erheben,
Ward doch damit derselbe Gott verehrt.
Nun lassen in den schlichten heil’gen Hallen,
Mit einem andern Kleide angethan,
Die Kinder Israels die Thora schallen
Und beten Gott nach Mosis Lehre an.
Hier steht der Mensch und möchte sinnend fragen,
Wie wird ein Gott am Würdigsten verehrt?
Ließ er untrüglich seinen Willen sagen?
Hat Menschenweisheit euch den Dienst gelehrt?
Wie können Formen einem Geist gefallen,
Der nur auf’s Innere, die Herzen, sieht?
Wozu nützt ein gedankenloses Lallen,
Wenn nicht das Herz in frommer Andacht glüht.
Wie stimmt in diesem geistigen Verehren
Der Glaube aller Völker überein,
Drum soll der äuß’re Prunk uns nicht bethören,
Drum laßt uns Christen, Juden, Türken sein.
Wir glauben All‘ an einen Gott der Liebe,
Und hoffen einst auf eine Seligkeit,
Die Vorurtheile hemmen uns’re Triebe
Und lenken ab vom Pfad zur Einigkeit.
Der Glaube erndtet in verschloss’nen Zonen,
Die Hoffnung keimt auf kaum besätem Feld,
Die Liebe waltet da, wo Menschen wohnen,
Und stempelt schon zum Paradies die Welt.
Drum laßt uns fest an dieser Liebe halten,
Sie ist der Menschheit köstlichstes Gewand,
Und eingehüllt in seine weiten Falten
Reicht sich der alt‘ und neue Bund die Hand.
Erfüllt sich euer längst gehegtes Hoffen,
Trifft der erwartete Messias ein,
Er wird, wie auch der uns’re, klar und offen

Ein Lehrer reiner Menschenliebe sein.

Die Aufforderung des Dichters, ein geschwisterliches Miteinander zu pflegen, hat auch 2023 nichts von seiner Aktualität verloren!


12.11.2023 

Partner