Die heutige Politikverdrossenheit und das damit oft verbundene Gefühl, mit der eigenen Stimme nichts bewirken zu können, bezeichnete Muth als eine Gefahr. „Lassen Sie uns wieder die Politik nach draußen bringen. Lassen Sie uns aber auch so mutig sein, Entscheidungen zu treffen, die nötig sind“, forderte er. Dabei machte er deutlich, dass der heute oft so geschmähte Kompromiss keine Schwäche ist, sondern der am Ende eines Meinungsbildungsprozesses gefunden Kompromiss die Demokratie auszeichnet. „Die Fähigkeit zum Kompromiss ist die Stärke der Demokratie“, verdeutlichte Muth.
Verpflichtung für die Gegenwart
Bürgermeister Dr. Marius Hahn zeigte sich dankbar darüber, heute in der freiheitlichsten aller denkbaren Staatsformen leben zu dürfen, in einem Staat, in dem weder Geschlecht, noch Herkunft, Vermögen, Hautfarbe oder Religion über politische Macht oder Ohnmacht entscheiden. Die Demokratie erstritten haben die Vorfahren. „Das verpflichtet uns, mit aller Kraft für den Erhalt unserer Demokratie einzutreten und sie gegen alle Anfeindungen zu verteidigen“, so der Bürgermeister.Einen Fehler gilt es nach seiner Einschätzung zu vermeiden: Erklärte Feinde der Demokratie sollten nicht gewählt werden. Das sei in Deutschland 1933 geschehen - auch in Limburg. „Ich bin froh, in einer Demokratie zu leben. Ich bin froh, dass das Volk der oberste Souverän ist und kein König oder Präsident“, verdeutlichte Hahn. Alle in Limburg, Stadtverordnete, Stadträte, Bürgermeister, übten ihre Aufgabe nur auf Zeit aus.
66 Prozent Wahlbeteiligung
108 Männer und elf Frauen kandidierten am 2. März 1919 bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung. Wie Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker in seinem Festvortrag erläuterte, waren die Männer auf Platz 1 jeweils Namensgeber der jeweiligen Liste. Allerdings waren die Listen durchaus parteipolitisch aufgestellt. Die Deutsche Demokratische Partei (DDP), die Deutsche Liberale Volkspartei (DVP), das Zentrum, eine Freie Bürgerliste und die SPD traten an. Lange Zeit blieb es dabei recht ruhig im Wahlkampf, trotz der großen Veränderungen nach dem verlorenen Krieg, der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik.Lebhaft wurde es erst, als sich Mitte, Ende Februar mit der Freien Bürgerliste eine Gruppierung zur Wahl stellte, die von sich in Anspruch nahm, keine Parteiinteressen zu vertreten, sondern nur die Bürgerschaft. Das stieß bei den anderen Listen, die parteipolitisch gebunden waren, auf erheblichen Widerspruch.
Wie Waldecker ausführte, war die Wahlbeteiligung am 2. März eher schleppend. 7216 Wahlberechtigte gab es in der Stadt (nur heutige Kernstadt), 4759 gaben ihre Stimme ab. Das entsprach einer Wahlbeteiligung von knapp 66 Prozent. Stärkste Kraft wurde mit weitem Abstand das Zentrum/Liste 3 Herckenrath (47,6 Prozent) vor der DDP/Liste 1 Wicher (18,1 Prozent), der SPD/Liste 5 Stein (11,7 Prozent) sowie der DVP/Liste 2 Raht (11,6 Prozent) und der Freien Bürgerliste/Liste 4 Mitter (10,4 Prozent).
Sehr starkes "Zentrum"
Die Listen/Parteien, die auf Reichs- und Landesebene die „Weimarer Koalition“ bildeten und vorbehaltlos hinter dem neu gegründeten Staat standen (DDP, Zentrum und SPD), holten in Limburg mit 77,4 Prozent eine Dreiviertelmehrheit. In Limburg gab es allerdings keine Konkurrenz der extremen Linke, USPD und KPD traten in der Stadt nicht an. Anders als im Reich und in Preußen behaupteten die drei Parteien der „Koalition“ in Limburg auch bei den beiden folgenden Wahlen (1924 und 1929) ihre Mehrheit von über 70 Prozent, erläuterte Waldecker. Dies sei vor allem auf das überdurchschnittlich gute Abschneiden des Zentrums zurückzuführen.Unter den gewählten 30 Stadtverordneten und den 15 Nachrückern der Wahlperiode hatten nur sechs bereits der alten Versammlung angehört, die nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewählt worden war. „Dies macht den starken Wunsch nach einem personellen Neuanfang auf kommunaler Ebene deutlich“, so Waldecker. In der Nationalversammlung gehörten rund ein Drittel der Abgeordneten bereits vor 1918 dem Reichstag an.
Die neue Stadtverordnetenversammlung, die am 25. März 1919 zusammentrat, sah sich in der Kontinuität zu den Versammlungen seit 1891, im Protokoll wird die erste Sitzung der neuen Ära als 265. Sitzung vermerkt. Bürgermeister Philipp Haerten verpflichtete die Stadtverordneten durch Handschlag und forderte sie auf zu „tätiger und aufopfernder Mitwirkung an den städt. Angelegenheit zum Wohle der Stadt Limburg und ihrer gesamten Bürgerschaft“. Zum Stadtverordnetenvorsteher wählte die Versammlung mehrheitlich Josef Flügel, Zentrum.
Noch viel zu tun
Bis zur Neuwahl der Versammlung 1924 kamen die Stadtverordneten zu 65 öffentlichen und 20 nichtöffentlichen Sitzungen zusammen. Sie hatten einen neuen Bürgermeister (Dr. Marcus Krüssmann) zu wählen und beschäftigten sich häufig mit der Versorgung der Limburger Bürger.„Es ist noch längst nicht alles erreicht“, verdeutlichte die Limburger Frauenbeauftragte Carmen von Fischke. Die Vorfahrinnen hätten für das vor 100 Jahren eingeführte Frauenwahlrecht hart gekämpft. Deshalb sollten die Frauen zum Dank auch konsequent von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, weiterhin für politische Ämter kandidieren und damit Demokratieprozesse im Sinne der Frauenbewegung und der Gleichstellung weiter vorantreiben. In ihrem historischen Abriss zur Umsetzung des Frauenwahlrechts wies sie auch darauf hin, dass der Frauenanteil in der Limburger Stadtverordnetenversammlung aktuell bei 22,2 Prozent liegt, etwas mehr als in der Wahlperiode davor, aber niedriger als zum Beispiel 2012 mit einem Frauenanteil von über 26 Prozent. Der 1919 gewählten Stadtverordnetenversammlung gehörten mit Eva Brückmann, Helene Dirksen und Frieda Wenzel drei Frauen an.