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Datum: 08.11.2018

9. November 1938: Gedenken an das Schreckliche

Der Tag, der der Nacht der Zerstörung vom 9. auf 10. November 1938 folgte, war ein milder Novembertag. Acht Jahre war Hilde Günther damals alt und sie war Zeugin der Zerstörung an den Geschäften der jüdischen Bürger in Limburg, beobachtete wie Männer von SA und SS Menschen aus ihren Wohnungen zerrten und wie später Männer mit einem Lastwagen weggefahren wurden. Hilde Günther ist noch eine Zeitzeugin, die erzählen kann, wie die sogenannte „Reichskristallnacht“ in Limburg war.
80 Jahre später berichtete sie am Vorabend des 9. November von den Vorfällen, die sie als Kind erlebt hatte. Am Morgen auf dem Weg zur Schule hatte sie die ersten Zerstörungen bemerkt, nach dem Mittagessen war sie dann von Zuhause ausgebüxt, um in der Stadt zu schauen, was so alles passiert. „Als Kind konnte ich das, was ich dort sah, natürlich nicht einschätzen. Aber es war ganz viel kaputt“, erzählte sie. Die Männer, die mit dem Lastwagen weggefahren wurden, kamen in das KZ nach Buchenwald.

„Der 9. auf 10. November 1938 war der Übergang von der Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung zur systematischen Vernichtung“, verdeutlichte Rabbiner Shimon Großberg im großen Sitzungssaal des Rathauses, in dem die Gedenkveranstaltung aus Anlass der Pogromnacht stattfand, die die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (CJZ) gemeinsam mit der Stadt ausrichtete. Hitlers Ziel eines judenfreien Deutschlands oder Europas, eines judenfreien Limburgs sei nicht erreicht worden. Zwar habe das jüdische Leben in der Stadt mit der NS-Zeit aufgehört, doch es sei zurückgekehrt. Inzwischen gebe es seit über 20 Jahren wieder eine jüdische Gemeinde in der Stadt und seit 2008 auch wieder eine Synagoge. Großberg dankte der Stadt und namentlich auch Christa Pullmann als Sprecherin der CJZ Limburg für die Unterstützung in den zurückliegenden Jahren.

Bürgermeister Dr. Marius Hahn erinnerte daran, dass die Demokratie eine Staatsform ist, die Einsatz erfordert. Die erste deutsche Demokratie, ausgerufen am 9. November 1918, sei von Beginn an bekämpft worden und habe deshalb nach nur wenigen Jahren in eine Diktatur geführt, die sich mit geplanter und organisierter Gewalt schnell ausgebreitet habe. „Es gibt heute Töne in der deutschen Politik, die die Verbrechen in der NS-Zeit auf unverantwortliche Weise bagatellisierten und die Erinnerung an sie stigmatisieren wollen“, verdeutlichte Hahn. Er forderte dazu auf, mit Mut für Vielfalt in der Gesellschaft auf Demokratie einzustehen. Das sei die beste Gewähr dafür, dass sich Ereignisse aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 nicht wiederholten.

In der von Stadtarchivar Dr. Christoph Waldecker vorbereiteten und dem Flötenduo Mette Eckhardt und Hannah Mecklenbeck (Kreismusikschule) begleiteten Gedenkveranstaltung wies Sebastian Wendt mit Zitaten aus alten Zeitungen nach, wie nach der Überschreitung von verbalen Grenzen die physischen Grenzen überschritten wurden. Schon schnell nach der Machtergreifung hätten die Nazis mit ihrer Ausgrenzung und Diskriminierung, basierend auf falschen Behauptungen, Unterstellungen und Beschimpfungen die jüdische Bevölkerung an den Rand gedrängt. Nach der verbalen Gewalt in Reden und Zeitungsartikeln sei das Pogrom von massiver körperlicher Gewalt begleitet worden, die wenige Jahre später in den KZs zur Vernichtung führte.

Ermutigendes Zeichen

Christa Pullmann las aus Akten vor, die im Rahmen von Entschädigungsverfahren in den 1950er und 1960er Jahren angelegt wurden. In den Akten werden jüdische Bürgerinnen und Bürger zitiert, wie sie die Zerstörung ihres Eigentums erlebt haben und dies einige Jahre später beschrieben. Nach der Pogromnacht zum Beispiel blieben im Haus der Familie Behringer nur noch Küche und Wohnzimmer als nutzbare Räume übrig, alles andere war zerstört worden. Ein Schicksal, das die Familie mit vielen anderen jüdischen Familien teilte.

Teil der Gedenkveranstaltung ist stets das Verlesen der Namen von den Menschen, die in Limburg Opfer des NS-Zeit wurden. 189 Frauen und Männer sind es, jüdische Bürger, Behinderte, Gewerkschafter, politisch Verfolgte und andere.

In ihrem Schlusswort überbrachte Christa Pullmann die Grüße von Nachkommen jüdischer Bürger aus Limburg, von Nachfahren der Familie Behringer, von Gwenda Meredith, die im vergangen Jahr an der Gedenkveranstaltung teilgenommen hatte. Immer wieder kommen Nachfahren jüdischer Bürger nach Limburg, in diesem Jahr seien es Nachkommen der Familie Rosenthal gewesen. Für Christa Pullmann ein ermutigendes Zeichen.

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